Chemische Abtreibung mittels Mifegyne: Risiken, Nebenwirkungen, Umkehrtherapie?

Wie läuft eine Abtreibung mit chemischen Mitteln ab?

Immer öfter wird mit chemischen Präparaten abgetrieben. In den USA sind es über die Hälfte aller Abtreibungen, die auf diese Weise durchgeführt werden, 2022 erfolgten in  Deutschland  32,3 % aller Abtreibungen medikamentös mit dem Wirkstoff Mifepriston (Handelsname Mifegyne) (1). Dies ist hierzulande bis zur 9. Schwangerschaftswoche möglich.

In der Regel erfolgt diese Form der Abtreibung in zwei Schritten. Zunächst wird unter ärztlicher Aufsicht das Antigestagen Mifepriston (Mifegyne®) eingenommen.  Mifepriston ist ein Wirkstoff, der die Wirkung des Gelbkörperhormons (Progesteron) aufhebt und somit die Weiterentwicklung der Schwangerschaft verhindert. Zusätzlich bewirkt er, dass sich die Gebärmutterschleimhaut und der Fruchtsack mit dem Embryo ablösen, so dass der Embryo stirbt. Zusätzlich wird 36 bis 48 Stunden später zu Hause ein Prostaglandin (Misoprostol) eingenommen, um die Wirkung von Mifepriston zu verstärken. Es bewirkt, dass sich die Gebärmutter zusammenzieht und es innerhalb weniger Stunden zu einer Abbruchblutung kommt, bei der die Gebärmutterschleimhaut und der Embryo ausgestoßen werden. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe weist darauf hin, dass der Gebrauch von Misoprostol in Kombination mit Mifepriston ab der 7. SSW ein „off label use“ ist, d.h., die Medikamente wurden ursprünglich nicht für diese Verwendungsart zugelassen. Die Schwangeren sind darüber aufzuklären (2).

Risiken und Nebenwirkungen der chemischen Abtreibung

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Es gibt weitere Hinweise darauf, dass die chemische Abtreibung nicht unerhebliche Risiken birgt.

  • Während der Pandemie wurde die chemische Abtreibung mittels Telemedizin eingeführt. Die Medikamente werden per Post zugestellt. Fälle, in denen Frauen viel zu spät in der Schwangerschaft noch damit eine Abtreibung versucht haben, sind ebenso bekannt geworden (3) wie heimliche Verabreichungen des Abtreibungsmittels durch einen Partner, der nicht Vater werden wollte (4). Eine Abtreibung mittels Mifegyne ist kaum von einer Fehlgeburt zu unterscheiden. Voraussetzung dafür, dass sie als ungewollte Abtreibung erkannt wird, ist eine Blutuntersuchung.
  • Die eigentliche Abtreibung erfolgt nicht in der Klinik, sondern zu Hause. Sie zieht sich über mehrere Tage hin und kann auch noch eine zusätzliche Operation erforderlich machen, da die Ausstoßung nicht vollständig erfolgte. Viele Frauen erleben den Vorgang daher nicht nur als schmerzhaft, sondern auch als traumatisierend (5).

Die Studienlage

Bei der chemischen Abtreibung ist die Komplikationsrate viermal so hoch wie bei der chirurgischen Abtreibung. Jede fünfte Frau  erleidet eine Komplikation (6,7). Drei bis sieben von hundert Frauen, die sich früh in der Schwangerschaft für eine chemische Abtreibung entscheiden, benötigen eine Nachbehandlung zur Beendigung der Abtreibung, wobei 7-10 % im ersten Trimester nach 63 Tagen der Schwangerschaft eine Nachbehandlung benötigen und bis zu 39 % operiert werden müssen, wenn die Behandlung versehentlich im zweiten Trimester vorgenommen wird (8, 9, 10).
Bei bis zu 15 % der Frauen kommt es zu einer starken Blutung. Dies ist auch auf das Prostaglandin zurückzuführen: Eine Studie belegt den Zusammenhang zwischen einem hohen Prostaglandinpegel und massiven menstruellen Blutungen (20). Bei 2 % der Frauen kommt es zudem zu einer Infektion. Das Risiko eines unvollständigen Abbruchs und einer Infektion steigt mit zunehmendem Schwangerschaftsalter (11,12).
Chemische Abtreibungsmittel führen immer häufiger dazu, dass Frauen in die Notaufnahme eingeliefert werden: In einer Studie aus den USA über die in Staaten, in denen Krankenkassen (Medicaid) die Abtreibungen für Frauen mit niedrigem Einkommen finanzieren, stieg die Zahl der Notaufnahmebesuche im Zusammenhang mit chemischen Abtreibungen zwischen 2002 und 2015 um mehr als 500 % an (13).
Bei chemischen Schwangerschaftsabbrüchen ist die Wahrscheinlichkeit, innerhalb von 30 Tagen eine Notaufnahme aufzusuchen, um mehr als 50 % höher als bei chirurgischen Abbrüchen. Von zwanzig Frauen muss eine nach Einnahme der Abtreibungspille die Notaufnahme aufsuchen (14). Fehlgeburten lassen sich nicht ohne weiteres von einer Abtreibung unterscheiden. Einige Studien legen nahe, dass bis zu 60 % der Fälle entsprechend falsch kodiert wurde. Eine solche Fehldiagnose führt jedoch dazu, dass das Risiko für weitere Krankenhausaufenthalte deutlich erhöht ist (15).

Umkehrtherapie – Abortion Pill Reversal

Mifepriston ist ein Antigestagen. Es hebt die Wirkung des Schwangerschaftshormons Progesteron auf, das für die Erhaltung der Schwangerschaft zuständig ist. Die Idee hinter der Umkehr der Abtreibung mittels Mifepriston ist: Wenn im Körper der Frau der Progesteronspiegel erhöht wird, kann dies die Wirkung von Mifepriston unter Umständen soweit reduzieren, dass die Schwangerschaft erhalten bleibt. Das kann nur nach Einnahme von Mifepriston versucht werden, da das zweite Mittel – Misoproston – die Gebärmutterkontraktionen verursacht, die zur Abstoßung des Embryos führen. Dieser Prozess lässt sich nicht aufhalten.

In den USA gibt es seit längerem Ärzte, die Schwangeren, welche die Einnahme der ersten Abtreibungspille bereuen und doch lieber ihr Kind behalten möchten, Progesteron verschreiben. Auch in Deutschland besteht die Möglichkeit, eine solche Umkehrtherapie einer medikamentösen Abtreibung zu versuchen.

Wir stellen hier die wichtigsten Informationen zu diesem Verfahren zusammen.

Abtreibungsumkehr: FAQs

Die erste der Abtreibungspillen enthält den Wirkstoff Mifepriston. Dieser blockiert das Progesteron, so dass die Gebärmutter das ungeborene Kind nicht mehr ernähren kann. Mifepriston ist jedoch ein umkehrbarer Blocker (16), d. h. die Wirkung von Mifepriston kann durch Zugabe großer Mengen natürlichen Progesterons aufgehoben werden. Das natürliche Progesteron konkurriert um die Bindungsstellen auf den Progesteronrezeptoren und verdrängt das Mifepriston von diesen Bindungsstellen.

Bei der Gabe von Progesteron zur Umkehr der Abtreibungspille handelt es sich, genau wie bei der Verabreichung von Mifegyne nach der 7. Schwangerschaftswoche auch, um einen sogenannten off-label-use. Das heißt, die Medikamente wurden ursprünglich nicht für diese Verwendung zugelassen. Allerdings gilt: Sollte ein Behandlungsziel nicht anders erreicht werden können, die Behandlung keine unzumutbaren Risiken für die Patientin beinhaltet und diese der Behandlung zustimmt, steht einer solchen Verwendung nichts im Weg. Die Beurteilung darüber, ob die Einnahme von Mifegyne oder Progesteron zu verantworten ist, liegt im Ermessen der Arztes. Seine Behandlungsfreiheit ist nicht an einen in-label-use gebunden.

Progesteron ist ein körpereigenes, natürliches Hormon, das dem Erhalt der Schwangerschaft dient. Es kommt seit Jahren in hochdosierter Form z.B. in der Kinderwunschbehandlung zum Einsatz – z.B. 600 mg / Tag über drei Monate. Von einer gesundheitlichen Gefährdung durch Einnahme dieses Hormons kann nicht ausgegangen werden.

Progesteron ist das körpereigene Hormon, das für den Erhalt der Schwangerschaft zuständig ist. Es sorgt also dafür, dass die Gebärmutterschleimhaut stabil bleibt und sich gerade nicht ablöst. Daher wird es immer wieder verabreicht, um Blutungen in der Frühschwangerschaft zu verhindern. Studien zur Gabe von Progesteron bei Fehlgeburtsrisiko bzw. Blutungen kamen zu dem Ergebnis, dass es bei Frauen mit wiederholten Fehlgeburten sowie bei Blutungen und wiederholten Fehlgeburten in der Vorgeschichte dazu beiträgt, die Schwangerschaft zu stabilisieren und das Blutungs- bzw. Fehlgeburtsrisiko senkt.

Diese Studie wurde 2019 von Mitchell  Creinin geleitet (19). Dr. Creinin führt Abtreibungen durch, ist  bezahlter Berater von Danco Laboratories, die die Abtreibungspille herstellen, und ist beratend für Planned Parenthood tätig, dem größten Abtreibungsanbieter in den USA.  An seiner Studie sollten 40 Frauen teilnehmen, die einen chemischen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen wollten. Sie sollten die erste Pille des chemischen Abtreibungsschemas, Mifepriston, erhalten und dann nach dem Zufallsprinzip entweder Progesteron oder ein Placebo bekommen. Frauen, bei denen die Schwangerschaft fortgeschritten war, sollte anschließend ein chirurgischer Schwangerschaftsabbruch angeboten werden. Letztendlich umfasste die Studie jedoch nur 10 Frauen, von denen fünf die Umkehrtherapie durchliefen und fünf ein Placebo erhielten. Die Studie wurde abgebrochen, als bei drei Frauen Blutungskomplikationen auftraten und sie  die Notaufnahme aufsuchen mussten. In der Gruppe, die kein Progesteron erhielt, war bei zwei der fünf Frauen (40 %) eine Kürettage erforderlich. Eine von ihnen benötigte eine Transfusion. Die dritte Frau, die starke Blutungen hatte, gehörte zur Progesterongruppe. Ihre Blutung hörte von selbst auf, sie brauchte keinerlei Behandlung oder Operation.

Die Datenbasis ist extrem dürftig. Wenn überhaupt eine Aussage auf dieser Grundlage gemacht werden kann, dann die, dass Mifepriston zu starken Blutungen führen kann, das Progesteron das gesundheitliche Risiko eher senkt als steigert, und dass es eine schwangeschaftserhaltende Wirkung hat. Nur einer der fünf Frauen, die Progesteron eingenommen hatte, hatte Blutungen mit Ausstoßung des ungeborenen Kindes. Bei den anderen bestand die Schwangerschaft fort.

Frauen haben grundsätzlich das Recht, sich dafür zu entscheiden, ihre Schwangerschaft fortzusetzen. Auch, wenn sie die erste Abtreibungspille bereits eingenommen haben. Ärzte, die diesen Frauen in einer solchen Notsituation helfen und sich dabei an bestehenden Erfahrungen mit den zu verabreichendem Medikament orientieren, handeln pflichtbewusst und wenden Schaden von diesen Frauen ab. Das Unterlassen einer ärztlich vertretbare Maßnahme hingegen kann schwerwiegende Schäden für die Patientin bedeuten. Es obliegt dem reproduktiven Selbstbestimmungsrecht einer Frau, Progesteron zu erhalten, wenn sie nach Einnahme eines Antiprogesterons (Mifepriston) diese Maßnahme rückgängig machen will.

  1. Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland – Aktuelle Daten aus der Schwangerschaftsabbruchstatistik. Journal of Health Monitoring · 2022 7(2) DOI 10.25646/9955 Robert Koch-Institut, Berlin
  2. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Leitlinienprogramm  zum Schwangerschaftsabbruch im ersten Trimenon.
  3. Eine 44jährige trieb ihr Kind im letzten Schwangerschaftsdrittel mittels Abtreibungspille ab (schätzungsweise 32. – 34. Woche), sie brachte im Krankenhaus ein totgeborenes Kind zur Welt. Sie wurde zu 14 Monaten auf Bewährung verurteilt. In England sind Abtreibungen bis zur 24. Woche erlaubt.
  4. Das Amtsgericht Nürnberg verurteilte den Vater zu einer Gefängnisstrafe.
  5.  Die Studie vom Dezember 2023 ist in einer Publikation des Springer Verlags erschienen: K. Rafferty, T. Longbons: Medication Abortion and Abortion Pill Reversal: An Exploratory Analysis on the Influence of Others in Women’s Decision-Making.
  6. Maarit Niinimäki et al., “Immediate complications after medical compared with surgical termination of pregnancy,” Obstet Gynecol 114, no. 4 (2009): 795-804, doi:10.1097/AOG.0b013e3181b5ccf9.
  7.  Ushma D Upadhyay et al., “Incidence of emergency department visits and complications after abortion,” Obstet Gynecol 125, no. 1 (2015): 175-183,  doi:10.1097/AOG.0000000000000603.
  8.  Melissa J Chen, Mitchell D Creinin, “Mifepristone With Buccal Misoprostol for Medical Abortion: A Systematic Review,” Obstet Gynecol 126, no. 1 (2015): 12-21,  doi: 10.1097/AOG.0000000000000897.
  9. Elizabeth G Raymond et al., “First-trimester medical abortion with mifepristone 200 mg and misoprostol: a systematic review,” Contraception 87, no. 1 (2013): 26-37, doi:10.1016/j.contraception.2012.06.011.
  10. Maarit J Mentula et al., “Immediate adverse events after second trimester medical termination of pregnancy: results of a nationwide registry study,” Hum Reprod 26, no. 4 (2011): 927-932, doi:10.1093/humrep/der016.
  11. Maarit Niinimäki et al., “Immediate complications after medical compared with surgical termination of pregnancy.”
  12. Maarit J Mentula et al., “Immediate adverse events after second trimester medical termination of pregnancy: results of a nationwide registry study.”
  13. James Studnicki et al., “A Longitudinal Cohort Study of Emergency Room Utilization Following Mifepristone Chemical and Surgical Abortions, 1999-2015,” Health Serv Res Manag Epidemiol 8 (2021): 23333928211053965,  doi:10.1177/23333928211053965.[9] Ibid.
  14. Z.B. hier: Zawn Villines, “A Guide to Surviving in a Post-Roe World: Advice from Doctors, Midwives, & Experts on Abortion,” Daily Kos, May 19, 2022, https://www.dailykos.com/stories/2022/5/19/2098906/-A-Guide-to-Surviving-in-a-Post-Roe-World-Advice-from-Doctors-Midwives-Experts-on-Abortion;  “Will Medical Staff be Able to Notice That I am Having an Abortion?,” Safe2Choose, accessed June 6, 2023, https://safe2choose.org/faq/medical-abortion-faq/during-abortion-with-pills/will-medical-staff-be-able-to-notice-that-i-am-having-an-abortion;    “Frequently Asked Questions: Can I get in trouble for using abortion pills?,” Plan C, accessed June 6, 2023, https://www.plancpills.org/guide-how-to-get-abortion-pills#faq.
  15. James Studnicki et al., “A Post Hoc Exploratory Analysis: Induced Abortion Complications Mistaken for Miscarriage in the Emergency Room are a Risk Factor for Hospitalization,Health Serv Res Manag Epidemiol, 9 (2022): 23333928221103107, doi:10.1177/23333928221103107.
  16. Baulieu.E.E. (1985) RU 486: an antiprogestin steroid with contragestive activity in women. In Baulieu.E.E. and Segal,S.J. (eds), The Antiprogestin Steroid RU 486 and Human Fertility Control. Plenum Press, New York
  17. Mitchell D. Creinin et al., “Mifepristone Antagonization With Progesterone to Prevent Medical Abortion: A Randomized Controlled Trial,” Obstetrics and Gynecology 135 (Jan. 2020), doi: 10.1097/AOG.0000000000003620.
  18. Arri Coomarasamy, M.B., et al. A randomized trial of progesterone in women with bleeding in early pregnancy. N Engl J Med 2019https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31809439/; 380:1815-1824 DOI: 10.1056/NEJMoa1813730
  19. Mitchell D Creinin et al., Mifepristone Antagonization with progesterone to prevent medical abortion: A randomized controlled trial. Obstet Gynecol 2020 Jan; 135 (1): 158-165