Für Menschen, die sich für das uneingeschränkte Recht auf Leben eines jeden Menschen einsetzen, ist jede Form der Tötung eines Menschen abzulehnen. Dies lässt sich ohne jeden Bezug zur Religion oder Glaube an eine übergeordnete moralische Instanz begründen. Uns Menschen wohnt eine instinktive, tiefsitzende Ablehnung gegenüber der Tötung eines anderen Menschen inne. Es braucht einiges an Überwindung, einen anderen zu töten. Nicht viele Menschen – wenn auch sicher noch zu viele – tun dies trotzdem, noch weniger gewöhnen sich daran. Und diejenigen, die es mit großer Abstumpfung oder häufig tun, erfüllen uns zurecht mit Abscheu. Das liegt in unserer Natur. Es ist gut, dass es so ist, denn es ermöglicht uns ein freies, einigermaßen sicheres Leben: der Fremde, dem ich begegne, ist vermutlich kein Killer, sondern hat den gleichen immanenten Respekt vor dem Menschenleben wie ich. Darum sind wir so schockiert, wenn Amokläufer um sich schießen oder wahllos in Menschenmengen hineinrasen. Sie erschüttern unser Grundvertrauen in die Menschen und den Glauben an deren Abscheu vor Tötungshandlungen. Aus diesem Grund ist die Entwicklung, die wir erleben, eine menschliche Tragödie von ungeahntem Ausmaß. Wir beginnen uns daran zu gewöhnen, dass der andere ein Töter sein könnte: Kinder, die ihre Eltern töten lassen, Eltern, die ihr schwerkrankes Kind töten lassen, Angehörige, die einem depressiven oder dementen Verwandten zum Recht auf Selbstmord verhelfen, und vor allem Ärzte und Pfleger, die den Todesengel geben. Was aber wenn plötzlich jeder, den wir treffen, ein Mensch sein kann, der schon einmal akzeptable Gründe für die Tötung eines anderen Menschen gefunden zu haben glaubte? Und zur Tat schritt? Welche Gründe werden in Zukunft zählen? Wer wird darüber entscheiden? Die Niederlande haben, so scheint es, längst das Maß verloren. Die Entwicklungen, vor denen Lebensrechtler schon vor zwanzig Jahren warnten – von der schiefen Ebene war damals die Rede – sind samt und sonders eingetreten.
Für Christen gilt zudem eine weitere Grundlage. Lebensschutz ist ein Prinzip moralischen Verhaltens und Ausdruck einer bestimmten Ethik. Der Mensch ist ein Geschöpf Gottes, von Gott gewünscht und gewollt und darüber hinaus sein Ebenbild. Eben das verleiht ihm die Würde, die Grundlage auch unserer staatlichen Ordnung ist. Diese Würde wird dem Menschen nicht von anderen verliehen, sondern er hat sie durch eben diese ihm innewohnende Gottesebenbildlichkeit. Gott hat mit jedem einzelnen von uns einen Plan, den wir nicht kennen. Wer sich oder anderen das Leben nimmt, durchkreuzt damit diesen Plan: dazu hat nach christlicher Auffassung der Mensch kein Recht. Sehen Sie hierzu den ausgezeichneten Vortrag von Dr. Raimund Klesse, den er bei den Salzburger Bioethikdialogen 2022 gehalten hat.