“Auf der Seite des Lebens”
Gott kann heilen, was im Leben von Menschen zerbrochen wurde. Das gilt sogar für die Selbsttötung. Aber die Würde verpflichtet uns auch zu einem entsprechenden Umgang mit uns selbst. Wir sind mehr, als wir sehen; zumal dann, wenn wir nur Krankheit, Lebensüberdruss und Angst wahrnehmen.
Wer sich aus Krankheit, Lebensüberdruss oder Angst das Leben nimmt, engt sich auf die Verzweiflung ein, die er spürt. Und wer jemandem dabei hilft, folgt dessen verzweifelter Selbstwahrnehmung, statt ihm eine erweiterte Perspektive zu ermöglichen.
Von Bischof em. Heinz Josef Algermissen, Fulda
In den letzten Jahren nahm die Aktivität von Vereinen und Einzelpersonen zu, den Sterbewilligen Hilfsdienste beim Suizid anzubieten. Sie besorgen tödliche Substanzen, geben Hinweise zur Einnahme und bleiben zugegen. Manche stellen dafür Rechnungen wie für jede andere Dienstleistung,
andere legen Wert darauf, ehrenamtlich zu handeln. Ob sie gegen das Recht verstoßen, war bislang nicht klar. Wenn ich mich in diesem Kontext
kritisch in die Debatte einbringe, so hat das auch zwei Gründe:
• Einerseits scheint mir die Würde des Sterbenden noch immer nicht klar genug herausgestellt zu werden.
• Andererseits glaube ich, die Diskussion braucht mehr Weite. Ob Menschen bei nachlassenden Kräften den Wunsch haben, sich das Leben zu
nehmen oder nicht, hängt wesentlich davon ab, ob sie überhaupt ein Verhältnis dazu gefunden haben, dass wir endliche und zerbrechliche Wesen
sind. Eine Gesellschaft, die nur auf Aktivität und Leistung setzt, wird unmenschlich. Es bedarf einer neuen Kultur des Geschehenlassens.