Entgrenzte Autonomie
Autonomie und Selbstbestimmung klingen gut. Wer möchte schon abhängig und fremdbestimmt sein? Und doch sind vollständige Autonomie und Selbstbestimmung bloße Fiktionen. Wer nicht einem utopischen Menschenbild nachlaufen und von ihm in die Irre geführt werden will, muss sich dieser Tatsache stellen. Anders als die Menschenbilder des Christentums und der Aufklärung führ ein entgrenzter Autonomiebegriff, wie er dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum § 217 StGB zugrunde liegt, in eine Sackgasse – mit gefährlichen Konsequenzen für das Verständnis der Menschenwürde, auf das es sich ironischere beruft.
Von Cornelia Kaminski
Am 26. Februar 2020 fällte das Bundesverfassungsgericht sein für viele überraschendes Urteil zum assistierten Suizid, mit dem der § 217, der die geschäftsmäßige Beilhilfe zur Selbsttötung unter Strafe stellte, für verfassungswidrig erklärt wurde. Bereits 2014 hatte das Bundesverwaltungseicht erstmals in Deutschland ein „Recht zu sterben“ postuliert. Über dieses Urteil geht das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung von 2020 indes noch hinaus, da es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben nicht nur für schwer und unheilbar Erkrankte mit gravierenden körperlichen Beschwerden anerkennt, sondern aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben in jeder Phase menschlicher Existenz“ – gegebenenfalls unter Mithilfe Dritter – ableitet.