»Kein geglückter Fall von Freiheit«
Von Stephan Baier. Österreichs Höchstrichter setzen selbst Recht: Sie erlauben die Beihilfe zum Suizid und verpflichten zugleich den Gesetzgeber, jenem Missbrauch, dem sie damit Tor und Tür öffnen, Einhalt zu gebieten.
Am 11. Dezember 2020 um 17 Uhr kündigte Österreichs Verfassungsgerichtshof (VfGH) in Wien auf, was bis dahin als Konsens galt: Das Höchstgericht hob das Verbot der »Hilfeleistung zum Selbstmord« (§ 78 Strafgesetzbuch) mit Wirkung zum 31. Dezember 2021 als verfassungswidrig auf. Die Richter begründeten dies damit, dass die freie Selbstbestimmung des Menschen das Recht auf die Gestaltung des Lebens wie auf ein menschenwürdiges Sterben umfasse. Dies schließe die Entscheidung des Einzelnen darüber ein, ob und auf welche Weise er sein Leben beenden will.
Die Selbstbestimmung umfasse auch das Recht des Suizidwilligen, die Hilfe eines dazu bereiten Dritten in Anspruch zu nehmen. Bislang ist in Österreich versuchte Selbsttötung nicht strafbar, die Hilfestellung dazu aber schon. Nach Ansicht des VfGH kann das Verbot der Selbsttötung mit Hilfe Dritter ein intensiver Eingriff in die Selbstbestimmung sein, etwa weil Betroffene an Lebenszeit gewinnen können, wenn sie sich nicht genötigt sehen, ihr Leben unwürdig zu beenden, weil sie es mit Hilfe Dritter auch später noch beenden können. Die Richter betonten zugleich, die Selbsttötung müsse »auf einer dauerhaften Entscheidung beruhen«, und verpflichteten in ihrem Urteil den Gesetzgeber, fremde Hilfe bei der Selbsttötung zuzulassen, dabei jedoch sicherzustellen, dass die Entscheidung auf freier Selbstbestimmung gründet. Der Gesetzgeber kann und muss also Maßnahmen gegen Missbrauch vorsehen, damit die Entscheidung des Sterbewilligen nicht unter Fremdeinfluss getroffen wird. Ein Antrag der Kläger, auch die »Tötung auf Verlangen« (§ 77 StGB) zu legalisieren, wurde zurückgewiesen. Auch die »Verleitung zum Selbstmord« bleibt strafbar. Vier Suizidwillige hatten – begleitet von emotionaler Medienarbeit – gegen das Verbot der Tötung auf Verlangen und der Hilfeleistung zum Selbstmord geklagt. Ihr Anwalt Wolfram Proksch …
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