Modell für Europa?
Es gibt einen weltweiten Kampf für die Durchsetzung sehr liberaler Abtreibungsregelungen, nicht nur in Frankreich und in Europa, sondern auch in anderen Ländern – insbesondere in
Lateinamerika und Afrika. Dennoch kommt Frankreich in diesem Kampf eine besondere Rolle zu, meint Grégor Puppinck. Mit dem Direktor des European Centre for Law and Justice (ECLJ)
sprach für »LebensForum« Cornelia Kaminski.
LebensForum: Der französische Senat hat einem Vorschlag zugestimmt, einen Passus zur Abtreibung in die französische Verfassung aufzunehmen. Wie konnte es dazu kommen?
Grégor Puppinck: In Frankreich gibt es zwei Parlamentskammern: den Senat und die Nationalversammlung. Der ursprüngliche Text, mit dem Abtreibung in die Verfassung aufgenommen
werden sollte, wurde vom Senat geändert – er ist eher konservativ, die Nationalversammlung steht politisch dem Präsidenten näher. Im vom Senat beschlossenen Text wird der Begriff
»Recht« durch »Freiheit« ersetzt. Statt »Das Gesetz garantiert den effektiven und gleichen Zugang zum Recht auf freiwilligen Schwangerschaftsabbruch « heißt es nun: »Das Gesetz legt
die Bedingungen fest, unter denen die Freiheit der Frau, ihre Schwangerschaft zu beenden, ausgeübt wird.« Dieser Satz ist also restriktiver als das reine Recht auf Abtreibung oder die Freiheit
zur Abtreibung, wie es zunächst von der Nationalversammlung vorgeschlagen wurde. Die ursprüngliche Formulierung wäre sehr gefährlich für Ärzte geworden, die sich kaum noch gegen
einen Zwang, Abtreibungen durchzuführen, hätten wehren können. Das bedeutet, dass wir auf der einen Seite nun zwar eine verfassungsmäßige Garantie hätten, dass Abtreibungen zugänglich
sein müssen, auf der anderen Seite dieser Zugang jedoch an Bedingungen geknüpft sein muss. Deswegen wird dieser Text keine zukünftige Regierung daran hindern können, den Zugang zur Abtreibung durch neue Bedingungen zu erschweren.
Warum gibt es in Frankreich eine derart liberale Haltung zur Abtreibung?
Das liegt daran, dass Abtreibungen hier sehr ideologisch als eine große Errungenschaft betrachtet werden. Die Legalisierung der Abtreibung gilt als ein Kapitel der glorreichen Geschichte der Menschenrechte in Frankreich, so wie auch die Sozialgesetzgebung oder die Bürgerrechte. Darin steckt eine gewisse Kohärenz. In Frankreich waren die Freimaurer immer sehr involviert in die Förderung der Menschenrechte.