Bevormundung durch die EU
LebensForum 156 (IV/2025)
von Cornelia Kaminski
Diese national hoch unterschiedlichen Regelungen sind in den Augen der Abtreibungsbefürworter ein Übel, das es zu bekämpfen gilt. 2024 haben sich daher europaweit Pro Choice Organisationen zusammengeschlossen, um im Rahmen einer europäischen Bürgerinitiative das einzufordern, was sie als „reproduktives Recht“ betrachten: My Voice, My Choice.
Konkret: die EU soll einen grenzüberschreitenden Fördermechanismus für den Zugang zu Abtreibung schafften. Frauen aus Ländern mit restriktiven Abtreibungsgesetzen sollen finanzielle Unterstützung erhalten, um in liberalere Länder zu reisen und dort einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Eine Schwangere aus Malta könnte so auf EU-Kosten in die Niederlande reisen, um ihr ungeborenes Kind abtreiben zu lassen – aber auch eine deutsche Frau, die sich erst in der 23. Woche für eine Abtreibung entscheidet. Angestrebt wird auf diese Weise eine Vereinheitlichung der Abtreibungsregelungen in Europa – so formulieren es auch die Initiatoren der Initiative auf der Homepage: Es sei untragbar, dass Frauen in Europa heute noch wegen fehlendem Abtreibungszugang sterben müssen oder finanzielle und gesundheitliche Risiken auf sich nehmen müssen, diese Situation gelte es zu ändern damit Europa ein besserer Ort für alle wird, ein Ort, der reproduktive Rechte als Grundrechte anerkennt.
Dass dies gegen europäisches Recht verstößt, ficht die Vertreter von My Voice, My Choice nicht an. Im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist klar geregelt: Die Kompetenz der EU im Bereich Gesundheitspolitik und Familienrecht ist strikt auf unterstützende und koordinierende Maßnahmen begrenzt (Art. 6, Art. 168 AEUV). Gesetzgebung und konkrete Regelungen zu reproduktiver Medizin und moralischen Fragen verbleiben im Hoheitsbereich der Mitgliedstaaten. Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union schreibt das Subsidiaritätsprinzip fest, wonach Entscheidungen möglichst bürgernah und auf nationaler Ebene getroffen werden müssen.
Ein EU-Fonds für Abtreibung würde nicht nur die nationalen Gesetzgebungen umgehen, sondern als indirekte Harmonisierung moralischer und bioethischer Standards gelten. Dies verstößt eindeutig gegen die vertraglich geregelte Kompetenzordnung und das Subsidiaritätsprinzip. Auch die Charta der Grundrechte der EU (Art. 33) betont den Schutz von Familie und Mutterschaft, sodass eine systematische Förderung von Abtreibungen mit dem Grundgedanken des europäischen Primärrechts kollidiert.
Dennoch ist My Voice My Choice erfolgreich: Innerhalb der vorgeschriebenen Frist wurde das notwendige Quorum erreicht. Am 1. September 2025 konnten rund 1,2 Millionen Unterschriften der Europäischen Kommission übergeben werden.
Es lohnt sich daher, einen Blick auf die Finanzierungswege dieser Initiative zu werfen. Erstaunliches stellt sich dabei heraus:
Hinter „My Voice My Choice“ stehen mehr als 250 NGOs und zivilgesellschaftliche Organisationen aus 21 Ländern Europas. Zu den zentralen Unterstützern zählen unter anderem International Planned Parenthood Federation (IPPF) (Deutscher Zweig: Pro Familia), Amnesty International, European Women’s Lobby sowie aus Deutschland u.a. „Pro Familia“, „Campact“, „Doctors for Choice“ und das „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“. Eine Analyse der Finanzierung zeigt eine deutliche Abhängigkeit von internationalen Stiftungen und europäischen Fördermechanismen:
19 Organisationen werden direkt über EU-Fonds finanziert. 20 empfangen Mittel von der Open Society Foundation (OSF). IPPF erhielt allein zwischen 2022 und 2025 über 3,2 Millionen Euro von der EU, 46 Millionen US-Dollar von der Gates Foundation (2005-2024) und nahezu 3 Millionen US-Dollar von OSF (2018-2023). Amnesty International Limited erhielt zwischen 2016 und 2023 über 14 Millionen US-Dollar von der OSF sowie weitere Großspenden von der Ford und MacArthur Foundation.
Besonderes pikant ist die Rolle der European Women’s Lobby (EWL). Sie verfügt über einen beratenden Status beim Europarat und ist regelmäßig in die Aktivitäten des Europarates sowie der EU-Kommission eingebunden. Weiterhin arbeitet die EWL mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) zusammen, zum Beispiel im Rahmen der Gender-Strategie der EIB, um Policy-Vorschläge und Initiativen zu fördern, wie öffentlich in EIB-Pressemitteilungen und gemeinsamen Statements ersichtlich ist. Die European Women’s Lobby durfte 2016 eine Zuwendung von 912.000 Euro von der EU verzeichnen.
„My Voice My Choice“ wurde also großzügig von offiziellen EU-Institutionen und finanzkräftigen außereuropäischen Stiftungen alimentiert und gefördert. Was die Frage rechtfertigt, wieviel „Bürger“ und „europäisch“ tatsächlich in dieser Initiative steckt.
Diese Frage stellt sich um so mehr, wenn man „My Voice My Choice“ mit einer anderen Bürgerinitiative vergleicht, die wesentlich erfolgreicher war – und vollständig ohne finanzielle Förderungen seitens internationaler Stiftungen oder EU-Institutionen auskam. „One of Us“ mobilisierte 1,8 Millionen Unterschriften und setzte sich für einen besseren Schutz des menschlichen Embryos und gegen die Verwendung von EU-Geldern zur indirekten Förderung von Abtreibungen ein. Trotz dieser enormen zivilgesellschaftlichen Unterstützung wurde die Initiative von der Europäischen Kommission im Jahr 2014 abgelehnt. Die amtliche Begründung lautete seinerzeit, EU-Fördermittel würden nicht und würden auch zukünftig nicht für Abtreibungsdienste oder die entsprechende Forschung eingesetzt. Das aber ist genau das, was mit „My Voice, My Choice“ erreicht werden soll: Die Finanzierung eines Abtreibungstourismus innerhalb der EU durch EU-Fördergelder.
„My Voice My Choice“ wird damit zum Präzedenzfall für den Versuch, den Willen der Bürger Europas zu ignorieren, nationale Wert- und Moralkonflikte stärker auf die europäische Ebene zu verschieben und damit die Kompetenzen der Mitgliedstaaten infrage zu stellen. Gleichzeitig verdeutlicht sie, wie kontroverse gesellschaftliche Fragen durch finanzstarke außereuropäische Kräfte, Verflechtungen mit EU-Behörden und eine transnationale Mobilisierung der Zivilgesellschaft zum politischen und juristischen Stresstest für die Europäische Union werden können. In dieser Entwicklung ist nicht nur das Potenzial für weitreichende gesellschaftliche Spannungen und rechtliche Auseinandersetzungen deutlich erkennbar, sondern auch für eine weitere Aushöhlung des Wertefundaments, auf dem die Europäische Union steht. Verteidigung der Menschenrechte, Anerkennung einer unveräußerlichen und unantastbaren Menschenwürde: das sind die Grundlagen, die Europa einen und stark machen. Wer diese Grundlagen sprengt, zerstört Europa.







