„Nihil nocere“
Alles, was Sie über die Entwicklung, Zusammensetzung, Wirkweise, Nutzen und Nebenwirkungen der COVID-19-Impfstoffe und das Phänomen der Durchbruchinfektionen wissen sollten
Von Prof. Dr. med. Paul Cullen.
Der erste Impfstoff wurde Ende des 18. Jahrhunderts von dem englischen Landarzt Edward Jenner gegen die schwere Pockenerkrankung entwickelt. Diese Pockenimpfung zeigt die vier Merkmale, die einen guten Impfkandidaten auszeichnen. Die Erkrankung, gegen die geimpft wird, muss so schwerwiegend sein, dass sie die Impfung einer großen Zahl von Menschen rechtfertigt. Denn geimpft werden Gesunde, die mit dem Erreger vielleicht nie in Kontakt kommen werden. Daher muss man sicher sein, dass der Nutzen die Risiken mit großer Sicherheit und mit großem Abstand überwiegt.
Ist dies nicht der Fall, stellt die Imp-fung eine Körperverletzung dar. Dieses Vorsorgeprinzip, das im Diktum „Zunächst keinen Schaden anrichten“ („Primum nihil nocere“) Ausdruck findet, bildet seit mehr als 2.000 Jahren das Leitprinzip allen ärztlichen Handelns. Diese Brisanz ist auch der Grund, warum die Impfstoffherstellung lange Zeit ausschließlich in staatlicher Hand lag. Auch darf der Erreger sich nicht verändern. Kommt es zu häufigen Mutationen, ist Impfen so, als würde man mit einem fixierten Gewehr auf ein bewegliches Ziel schießen: Man kann ins Schwarze treffen, aber meistens schießt man daneben. Drittens sollte der Erreger nur beim Menschen vorkommen, denn sei-ne Ausrottung ist nur dann möglich, wenn er im Tier keinen Unterschlupf findet. Schließlich sollte eine Impfung einen langfristigen und umfassenden Schutz gegen die Zielerkrankung gewährleisten.
Meist dauert die Entwicklung eines neuen Impfstoffs sechs bis zehn Jahre. Erst muss der Impfstoff in Zellkulturen, in Hühnereiern oder mittels molekularbiologischer Prozesse hergestellt werden. Diese Herstellung bildet aber nur einen kleinen Teil der Gesamtentwicklung. Besonders anspruchsvoll ist nämlich die Prüfung, die in einer vorklinischen Phase im Reagenzglas sowie im Tierversuch, gefolgt von drei klinischen Phasen an Testpersonen erfolgt. In der ersten klinischen Phase wird meist an weniger als hundert Menschen die Verträglichkeit des Impfstoffs überprüft. Geklärt werden dabei Fragen wie: Treten Rötungen oder Schmerzen an der Einstichstelle auf? Kommt es zu Entzündungen? Gibt es gar Todesfälle?