Grundrecht auf Abtreibung?
Warum Frankreichs Fehler nicht wiederholt werden darf
LebensForum 156 (IV/2025)
Von Scott Fischbach
Von den 195 Nationen der Welt hat derzeit nur ein einziges Land ein Recht auf Abtreibung in seiner Verfassung verankert: Frankreich. In einer Überreaktion auf das Dobbs-Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA überzeugte der französische Präsident Emmanuel Macron das Parlament zu diesem Schritt.
Das Dobbs-Urteil („Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization“) des Obersten Gerichtshofs der USA vom 24. Juni 2022 beendete das fast 50 Jahre bestehende bundesweite Grundrecht auf Abtreibung, das zuvor durch die Entscheidungen „Roe v. Wade“ (1973) und „Planned Parenthood v. Casey“ (1992) garantiert war. Im zu entscheidenden Fall ging es um ein Gesetz des Bundesstaates Mississippi, das Abtreibungen nach der 15. Schwangerschaftswoche verbietet – außer in medizinischen Notfällen oder bei schweren fetalen Anomalien. Der Supreme Court erklärte, dass die US-Verfassung kein Recht auf Abtreibung enthalte. Deshalb dürften künftig die einzelnen Bundesstaaten selbst entscheiden, ob und in welchem Umfang Abtreibungen erlaubt oder verboten sind. Damit wurde „Roe v. Wade“ ausdrücklich aufgehoben („overruled“). Das Urteil verschob damit die Entscheidungshoheit über das Abtreibungsrecht vom Bund auf die Bundesstaaten.
Kein weiteres Land ist bislang diesem Beispiel gefolgt. Erst im September 2025 haben sogar die Niederlande es abgelehnt, sich an die Speerspitze einer Bewegung zu stellen, die eine Aufnahme eines Rechts auf Abtreibung in die EU-Grundrechtecharta anstrebt. Das niederländische Parlament hat einen Antrag abgelehnt, der Abtreibung als „Menschenrecht“ anerkennen und die Regierung auffordern sollte, sich auf EU-Ebene für eine Aufnahme dieses sogenannten Rechts in die Charta der Grundrechte der Europäischen Union einzusetzen. Das Europäische Parlament hatte bereits im April 2024 mit deutlicher Mehrheit eine Resolution beschlossen, die forderte, das Recht auf „sichere und legale Abtreibung“ in die Grundrechtecharta aufzunehmen. Dafür wäre eine Vertragsänderung nötig, die die Einstimmigkeit aller Mitgliedstaaten erfordert. Mehrere Länder – darunter Polen, Malta und nun auch die Niederlande – haben signalisiert, einer solchen EU-weiten Verfassungsänderung nicht zuzustimmen.
In der gesamten Weltgeschichte hat nur ein weiteres Land, das kommunistische Jugoslawien im Jahr 1974, Ähnliches getan. Dort wurde Artikel 191 aufgenommen, in dem es heißt: „Es ist ein Menschenrecht, über die Geburt von Kindern zu entscheiden.“ Das Wort „Abtreibung“ wird dabei nicht einmal verwendet. Wie wir alle wissen, existiert Jugoslawien mit seiner langen Geschichte von Menschenrechtsverletzungen nicht mehr und ist auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet.
Leider steht Luxemburg heute davor, die Abtreibung in der eigenen nationalen Verfassung zu verankern. Die Gründe? Es gibt keine. Der Abgeordnete Marc Baum (Déi Lénk) forderte 2024 ein ausdrückliches „Recht auf Abtreibung und Empfängnisverhütung“ in Artikel 15 der Verfassung. Der Text sollte lauten: „Das Recht auf freiwilligen Schwangerschaftsabbruch und das Recht auf Empfängnisverhütung sind garantiert. Das Gesetz regelt die Bedingungen, unter denen diese Rechte frei und wirksam ausgeübt werden.“ Nach intensiven Debatten schlugen die Christlich-Soziale Volkspartei (CSV) und die Demokratische Partei (DP) eine abgeschwächte Formulierung vor. Diese spricht nun von der „Freiheit“ statt vom „Recht“ auf Abtreibung, um die Gewissensfreiheit von Ärzten und bestimmte ethische Vorbehalte zu wahren. Der Ausschuss für Institutionen hat am 6. Oktober 2025 der Kompromissformel zugestimmt, womit der Gesetzgebungsprozess weit fortgeschritten ist. Findet die Reform in der Abgeordnetenkammer eine Zweidrittelmehrheit, könnte Luxemburg nach Frankreich das zweite Land weltweit werden, das ein solches Abtreibungsrecht – wenngleich abgeschwächt als „Freiheit“ – verfassungsrechtlich verankert.
Abtreibung ist in Luxemburg seit Jahrzehnten legal. Das Parlament hat kürzlich sogar die bisher vorgeschriebene dreitägige Bedenkzeit vor einem Schwangerschaftsabbruch abgeschafft. Die Sozialisten versuchten sogar, den Zeitraum für legale Abtreibungen von zwölf auf 14 Wochen zu verlängern. Und nicht vergessen: Abtreibungen sind in Luxemburg kostenlos – sie werden vom Staat bezahlt.
Der eilige Vorstoß aus dem Parlament, Abtreibung in der Verfassung zu verankern, widerspricht exakt den internationalen Dokumenten, denen das Land bereits zugestimmt hat. Luxemburg war einer der frühesten Unterzeichner der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, in der es in Artikel 3 explizit heißt: „Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“ Außerdem ratifizierte Luxemburg Anfang der 1990er Jahre die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, die in der Präambel feststellt: „Das Kind bedarf aufgrund seiner körperlichen und geistigen Unreife besonderer Schutzmaßnahmen und Fürsorge, einschließlich angemessenen gesetzlichen Schutzes, sowohl vor als auch nach der Geburt.“ Die Konvention hält außerdem in Artikel 6 fest: „Die Vertragsstaaten erkennen an, dass jedes Kind ein angeborenes Recht auf Leben hat.“
Als meine luxemburgischen Vorfahren in den 1860er Jahren in die Vereinigten Staaten auswanderten, respektierten Frankreich und Preußen die Gesetze, Dokumente und Grenzen der Nation nicht. Heute leben wir in einer anderen Zeit und Luxemburg ist als internationaler Verteidiger der Menschenrechte anerkannt. Manche meinen, Abtreibung sei eine Frauenrechtsfrage – tatsächlich ist sie viel mehr, sie ist die Menschenrechtsfrage unserer Zeit.
Es gibt keinen Grund, warum Luxemburg die Abtreibung in die Verfassung aufnehmen sollte – wohl aber vieles, das zu bedenken ist: Die Auswirkungen von Abtreibungen auf die Gesellschaft sind nicht zu unterschätzen. Wissenschaft, Biologie und Technik belegen eindeutig, dass menschliches Leben mit der Empfängnis beginnt. Gerechtigkeit, Gleichheit und Fairness verlangen nach Menschenrechten für alle Menschen. Das Leben selbst ist das erste Menschenrecht, aus dem alle anderen folgen. Leben zu verweigern heißt, Menschlichkeit zu verweigern.
Unabhängig davon, ab wann man Abtreibungen für zulässig hält, lässt sich eines festhalten: Frauen verdienen besseres als Abtreibung. Sie verdienen faire Berufschancen, gleichen Lohn und gleichen Zugang in der Arbeitswelt. Gleichberechtigung ist notwendig – nicht Abtreibung. Bemerkenswert ist: Die derzeitige luxemburgische Verfassung enthält nicht einmal Bestimmungen, die Frauen oder Männern das Recht auf ein faires Verfahren oder Schutz vor Diskriminierung garantieren, und dennoch drängt das Parlament auf die Verankerung der Abtreibung.
Da es in der Gesellschaft nie einen Konsens über Abtreibung geben wird, sollte Abtreibung auch in keiner Verfassung der Welt, in keiner Form, festgeschrieben werden. Luxemburg sollte gemeinsam mit den anderen 194 Nationen der Welt vereint bleiben, in deren Verfassungen Abtreibung keinerlei Erwähnung findet.
Der Autor ist stolzer Urenkel Luxemburgs und Direktor des National Right to Life Committee. Er vertritt die Interessen seiner Organisation bei der UNO in New York und Genf.







