Proteste in Polen: Der Druck der Straße
Am 22. Oktober 2020 entschied das polnische Verfassungsgericht zum Schutz des menschlichen Lebens, dass eugenische Abtreibung verfassungswidrig ist. Die Wirkung des Gerichtsurteils macht es illegal, ein behindertes oder krankes Kind abzutreiben. Die höchsten polnischen Richter hatten sogenannte eugenische Abtreibungen für verfassungswidrig erklärt. Damit ist die Gesetzespassage zunichte gemacht, die Schwangerschaftsabbrüche erlaubt, wenn bei einer vorgeburtlichen Untersuchung „mit hoher Wahrscheinlichkeit eine schwere und irreversible Beeinträchtigung des Fötus oder eine unheilbare, das Leben bedrohende Krankheit“ festgestellt wurde. Dies – so das Gericht – verstoße gegen den von der Verfassung garantierten Schutz des Lebens. Damit sind Abtreibungen in Polen künftig nur noch legal, wenn die Gesundheit der Schwangeren in Gefahr ist oder die Schwangerschaft das Ergebnis einer Straftat ist. 2019 fielen fast alle registrierten Abtreibungen laut offizieller Statistik unter das vom Gericht für unzulässig erklärte Kriterium: genau 1.074 von insgesamt 1.100.
Seit dem Urteil des Gerichts ist Polen massiven Angriffen ausgesetzt: Die Opposition rügte, dass die PiS die Entscheidung über das Abtreibungsgesetz dem von ihr kontrollierten Verfassungsgericht übertragen habe, statt sich einem Parlamentsvotum zu stellen. Frauenrechtsorganisationen und linksgerichtete Abgeordnete riefen zum Kampf gegen die Gesetzesverschärfung auf. Feministische, linke und liberale Gruppen haben gewalttätige Proteste inszeniert. Abtreibungsbefürworter beschädigen Kirchen und Statuen und stören Gottesdienste. Zusätzlich zu den Protesten und Krawallen auf der Straße gibt es einen enormen internationalen Druck auf Polen von Seiten der Europäischen Union und anderer Organisationen, Staaten und Gruppierungen, mit dem Ziel, die Umsetzung des Urteils des Gerichtshofs zu verhindern.
Die Regierung hätte das Gesetz veröffentlichen müssen, damit es rechtskräftig wird – hat dies aber bisher nicht getan. Staatspräsident Andrzej Duda hat nun einen eigenen Gesetzentwurf angekündigt, der vorsieht, dass eine Abtreibung möglich ist, falls das Kind einer medizinischen Diagnose zufolge wahrscheinlich tot zur Welt kommt oder wegen Fehlbildungen kurz nach der Geburt sterben wird. Dieser Vorschlag wird von den meisten Demonstranten jedoch abgelehnt – sie fordern eine weitreichende Liberalisierung der Abtreibungsgesetzgebung in Polen.
Die polnischen Lebensrechtsorganisationen haben um internationale Unterstützung gebeten und sie auch erhalten: weit über 100 europäische Initiativen haben ein entsprechendes Schreiben an die polnische Regierung unterzeichnet.
Gleichzeitig machen internationale Medien Stimmung gegen die polnische Abtreibungsgesetzgebung und bilden sich Organisationen wie Ciocia Basia / Tante Barbara, die polnischen Frauen Abtreibungen in grenznahen Einrichtungen in Deutschland ermöglichen und finanzieren. Ob diese Frauen einen Beratungsschein vorlegen können, der seinen Namen auch verdient, darf bezweifelt werden.
Vera Novelli, Cornelia Kaminski