„Lebensschutz ist kein rechtes Thema“
Mit Hüppe sprach für „LebensForum“ Sebastian Sasse.
LebensForum 155 (III/2025)
LebensForum: Herr Hüppe, als Bundestagsabgeordneter haben Sie es weder sich noch Ihrer Partei, der CDU, leicht gemacht. Als ausgewiesener Gesundheitspolitiker haben Sie mehr als 30 Jahre lang die bioethischen Debatten des Deutschen Bundestags mitgeprägt. Ob es um Abtreibung, die menschliche Embryonen verbrauchende Stammzellforschung, die Präimplantationsdiagnostik, nicht invasive Gentests, das Klonen, die Organtransplantation oder die Suizidhilfe ging, stets haben Sie deutlich und vernehmbar, gelegen oder ungelegen, für das Recht auf Leben Partei ergriffen. Nun wurden Sie zum Vorsitzenden der Senioren-Union gewählt. Trotz Ihres jahrzehntelangen, konsequenten Eintretens für den Lebensschutz oder gerade deshalb?
Hubert Hüppe: Ich glaube weder noch. Entscheidend war wohl, dass die Delegierten in der Mehrheit einen Vorsitzenden wollten, der die Senioren-Union wieder mehr politisch führt und Kontakt zu Partei, Fraktion und Bundesregierung hat. Bis zur letzten Legislaturperiode war ich Mitglied des Bundestages. Ich weiß, wie in der Fraktion gedacht wird, und kann so auch für die Themen, die der Senioren-Union wichtig sind, dort eintreten. Hinzu kommt, dass ich viele Jahre Mitglied in den Ausschüssen für Gesundheit und für Arbeit und Soziales war. Das ist sicherlich ein Vorteil, wenn es um die Zukunft der Pflege und das Thema Rente geht. Und als ehemaliger Behindertenbeauftragter habe ich auch eine besondere Sensibilität für alle Probleme, die mit Diskriminierung zusammenhängen.
Sie haben sich in einer Kampfabstimmung mit 73,3 Prozent der Stimmen deutlich gegen Ihren Konkurrenten Helge Benda durchgesetzt. Was steht auf Ihrer Agenda jetzt ganz oben?
Das sind eben die Themen Pflege, Gesundheit und Rente, aber auch Barrierefreiheit und Schutz vor Diskriminierung. Ich werde nicht selten in den sozialen Medien als alter weißer Mann beschimpft und deswegen solle ich gefälligst den Mund halten. Angeblich gehöre ich einer privilegierten Gruppe an und sei zu dominant. Abgesehen davon, dass ich auch „alte weiße Männer“ kenne, denen es nicht gut geht. Entweder darf ich also wegen meines Geschlechts, meiner Hautfarbe oder meines Alters nicht mitreden. Das ist nicht nur eine Beleidigung, sondern eine eindeutige Diskriminierung. Ich werde dafür eintreten, dass auch die Stimme der Älteren gehört wird. Daher werde ich vor allem auch auf Austausch mit der jüngeren Generation setzen.
Ich merke es ja auch bei mir selbst: Die Uhr tickt und man weiß, was auf einen im höheren Alter zukommen kann. Ich will nicht warten, bis ich irgendwann selbst auf Pflege angewiesen bin, sondern mich jetzt dafür starkmachen, dass es eine menschenwürdige Pflege gibt. Dazu gehört übrigens auch nicht nur eine optimale Versorgung. Genauso wichtig ist die Teilhabe. Es gibt viele alte Menschen, die einsam sind, mit denen niemand spricht, denen niemand zuhört. Auch dagegen möchte ich etwas tun.
In der Koalition von CDU/CSU und SPD ist ein Streit über die Interpretation einer Passage des Koalitionsvertrages entbrannt. Dort kündigen Union und SPD eine Erweiterung „der Kostenübernahme“ von Abtreibungen „durch die gesetzliche Krankenversicherung über die heutigen Regelungen hinaus“ an. Die rechtspolitische Sprecherin der SPD, Carmen Wegge, hat unlängst erklärt, für sie bedeute dies, „dass wir diese zu einer Kassenleistung machen wollen“, und hinterhergeschickt: „Dafür wäre es tatsächlich erforderlich, den Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase zu legalisieren, weil rechtswidrige Eingriffe nicht über die Krankenkassen finanziert werden können.“ Wie sehen Sie das?
Man muss hier auch sehen, wer sich da zu Wort meldet. Fraktionskolleginnen von Frau Wegge (Josephine Ortleb und Gabriele Heinrich) sind auch bei Pro Familia engagiert. Hier wäre die Frage zu stellen, wer denn da eigentlich politischen Lobbyismus betreibt. Würde bei einem anderen Thema etwa ein Abgeordneter der Union ähnlich agieren, dann würde es gleich heißen: „Der will doch nur Geld für seinen Verband scheffeln.“ Dass das Engagement der SPD-Abgeordneten in diesem Zusammenhang kaum kritisch betrachtet wird, zeigt, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Die bisherigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes geben eindeutig keinen Spielraum, Abtreibungen zur generellen Kassenleistung zu machen. Ein Kind ist keine Krankheit, ein Virus, den man bekämpfen muss.
Dazu gebe ich zu bedenken: Es wäre doch schön, wenn diejenigen, die jetzt für so eine Änderung eintreten, sich genauso engagieren würden, wenn es darum geht, junge Eltern direkt nach der Geburt finanziell zu unterstützen. Auch wenn ich sehe, wie viele Menschen mit Behinderungen um ihre Versorgung kämpfen müssen, wenn es zum Beispiel um eine gute Inkontinenzversorgung geht, frage ich mich, warum diesen Leuten das nicht so wichtig ist. Für die SPD ist scheinbar nichts wichtiger als die Finanzierung der Tötung ungeborener Kinder. Davon ab: In vielen Fällen werden auch heute schon die Abtreibungen von den Krankenkassen finanziert, die sich dann das Geld von den Ländern holen. Das richtet sich allein nach den Einkommen der Schwangeren. Es geht also nicht um Bedürftige. Die Einkommensgrenze ist relativ hoch und das Einkommen des Partners spielt keine Rolle, selbst wenn er reich wäre. Das Bundesverfassungsgericht hat darauf hingewiesen, dass auch bei der jetzt bestehenden Kompromisslösung der Staat dazu verpflichtet ist, jenseits des Strafrechts mit „wirksameren Mitteln“ den Schutz des ungeborenen Lebens zu fördern. Etwa indem er betroffene Frauen besser unterstützt oder auch mit dazu beiträgt, dass das Bewusstsein in der Öffentlichkeit für die Würde des ungeborenen Kindes vorhanden ist. Doch davon ist nichts zu merken, eher ist das Gegenteil der Fall. Ich kenne eigentlich keine Sendung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus den vergangenen Jahren, in der Abtreibung einmal nicht positiv dargestellt worden wäre.
Ihre Parteifreundin, die CDU-Bundestagsabgeordnete Anne König, hat in einem Beitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ geschrieben: „Eine humane Gesellschaft, deren Fundament das Tötungsverbot bildet, darf nicht darauf verzichten, mit aller Deutlichkeit zu markieren: Auch der aktiv herbeigeführte Tod eines Menschen in seinem frühesten Entwicklungsstadium ist und bleibt ein schweres Unrecht.“ Und weiter: „Das öffentliche Signal dieser Rechtsordnung, das am Unrechtscharakter des Schwangerschaftsabbruchs festhält, muss bleiben. Denn tatsächlich stärkt gerade diese grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Abbruchs manchen Frauen den Rücken bei den Sirenengesängen ihres sozialen Umfelds und dem oft verführerischen Rat, ein Nein zum Kind sei der einfachste Weg in eine sorgenfreie Zukunft.“ Hat sie recht?
Ja, hat sie. Und ich möchte noch ergänzen: Ein Staat ist noch nie in der Geschichte zum Unrechtsstaat geworden, weil er den Schutz der Menschenwürde zu weit ausgelegt hat. Im umgekehrten Fall ist das schon eher der Fall. Ich habe die Wahl von Frau Brosius-Gersdorf nicht deswegen abgelehnt, weil sie eine bestimmte Position im Strafrecht vertritt, sondern weil sie den ungeborenen Menschen die Menschenwürde abgesprochen hat. Deswegen wäre sie für mich und auch für viele andere Unionsabgeordnete nicht wählbar gewesen. Ich kannte ihre Position ja schon von den Anhörungen im Bundestag, wo sie als angebliche „Sachverständige“ aufgetreten ist. Aber jeder kann auch in ihren Publikationen nachlesen, welche Auffassungen sie vertritt. Es ist jedenfalls falsch, wenn jetzt von der SPD gesagt wird, Frau Brosius-Gersdorf sei das Opfer einer „rechten Kampagne“ geworden. Mit „rechter Hetze“ hat das überhaupt nichts zu tun. Jeder Abgeordnete, der der Meinung ist, dass nach Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes auch dem ungeborenen Leben Menschenwürde zukommt, hätte sie nicht wählen dürfen. Denn dann hätte er ja verfassungswidrig abgestimmt. Und das ist auch kein Thema, in dem die sicherlich oft gebotene Fraktionssolidarität zieht. Ich kann von niemandem verlangen, dass er eine Kandidatin wählt, die für eine Einschränkung der Menschenwürde plädiert.
Nach dem Rückzug von Frauke Brosius-Gersdorf muss die SPD eine neue Kandidatin für einen Richterposten beim Bundesverfassungsgericht benennen. Als Kenner Ihrer Partei und Fraktion: Was sollte die SPD berücksichtigen, um ausreichend Stimmen für deren Wahl aus der Unionsfraktion zu bekommen?
Ich kann nur hoffen, dass die SPD aus ihren Fehlern gelernt hat. Sie muss eine Kandidatin vorschlagen, bei der nicht der Eindruck entsteht, dass man das Bundesverfassungsgericht von vornherein in eine bestimmte politische Richtung lenken will. Man hat sich ja immer darüber aufgeregt, dass das polnische Verfassungsgericht zu Zeiten der PiS-Regierung einseitig besetzt und damit politisiert worden sei. Genauso lautete auch die Kritik, als Trump neue Richter für den Obersten Gerichtshof berufen hat. Jetzt macht die SPD aber genau das, was sie den USA und Polen vorgeworfen hat. Sie politisiert das Gericht, indem sie nur Kandidaten vorschlägt, die Abtreibungen straffrei setzen wollen. Nebenbei tritt sie auch für die Legalisierung der Leihmutterschaft ein. Deswegen gab es auch Feministinnen, die ihre Wahl ablehnten.
Sie waren insgesamt 27 Jahre Mitglied des Bundestages. Wenn Sie die Positionen und Forderungen der SPD von damals mit denen von heute vergleichen, würden Sie sagen, es gibt Unterschiede, die deutlich machen, dass die SPD verstanden hat, dass sie keine Koalition mehr anführt, sondern der kleinere Partner in einer solchen ist?
Ich will jetzt keine Koalitionspartnerschelte betreiben. Ich bin der Meinung, in so einer Situation müssen sich beide Seiten zusammensetzen und versuchen, nicht noch zusätzliche Schärfen in die Diskussion zu bringen. Eine vernünftige Lösung muss das Ziel sein. Die SPD muss dabei aufpassen, dass sie nicht die falschen Akzente setzt. Wirtschaft, Migrationspolitik, die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme – es gibt viele wichtige Aufgaben, die die Koalition zu lösen hat. Die Kommunalwahlen im Ruhrgebiet haben es wieder gezeigt, die SPD verliert viele Wähler an die AfD. Ich finde, dass sich die Sozialdemokraten nun fragen müssten, ob sie wirklich noch die richtigen Themen in den Vordergrund stellen, ob sie wirklich noch die Arbeiterpartei sind. Ob wirklich das Selbstbestimmungsgesetz oder die Freigabe der Abtreibung bis zur Geburt für den Facharbeiter das entscheidende Problem ist, ist doch sehr zweifelhaft. Wir müssen beide, Union wie SPD, aufpassen, dass die Ränder nicht stärker werden. Die werden ja nicht nur rechts stärker, sondern auch links. Angesichts solcher Herausforderungen sollte man dem jeweils anderen Koalitionspartner nicht Personalvorschläge zumuten, von denen von vornherein klar ist, dass er sie nicht akzeptieren kann. Es ist mir natürlich klar, die SPD wird sicherlich keine Kandidaten vorschlagen, die in der Frage des § 218 genauso denken wie ich. Aber in dieser aufgeladenen Situation wäre es wichtig, einen Vorschlag zu machen, der nicht für eine zusätzliche Politisierung spricht. Es wäre ein politisch neutraler Kandidat gut, bei dem vor allem die juristische Qualifikation zählt.
Sind CDU und CSU zu nachgiebig?
Ich finde gut, dass, nachdem der Vorschlag Brosius-Gersdorf öffentlich war, viele Christdemokraten deutlich gemacht haben, dass sie nicht für sie wählbar sei. Sehr gut war, dass sich sehr schnell die Junge Union zu Wort gemeldet hat, die erklärte, dass es in der Frage der Menschenwürde keine Kompromisse geben dürfe. Beachtlich war auch die Stellungnahme von Elisabeth Winkelmeier-Becker. Sie steht wirklich nicht im Verdacht, zu einem rechten Flügel in der Union zu gehören. Sie hat einfach nur klar den christdemokratischen Standpunkt zum Lebensschutz vertreten. Ausgerechnet dieser hochgeschätzten Kollegin „rechte Hetze“ vorzuwerfen, zeigt, wie absurd dieser Vorwurf ist. Noch absurder wird der Vorwurf, wenn man bedenkt, dass auch die ehemalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) als Vorsitzende der Lebenshilfe Vorbehalte angemeldet hatte.
Die AfD nimmt für sich in Anspruch, die letzte verbliebene Partei zu sein, bei der der Lebensschutz noch großgeschrieben wird. Was antwortet der CDU-Politiker und Lebensrechtler Hubert Hüppe?
Bei der Nominierung von Frauke Brosius-Gersdorf kam viel Protest von der christdemokratischen Basis. Das beweist ja, dass in der Union der Lebensschutz für die Mitglieder und Anhänger noch eine große Bedeutung hat. Lebensschutz ist kein rechtes Thema. Bei mir haben sich wegen dieser Klischees bei der Einordnung auch manche schwergetan: Wenn ich gesagt habe, ich sei gegen die Abtreibung von Kindern mit Downsyndrom, galt ich für manche als Rechter. Wenn ich dann dafür gekämpft habe, dass diese Kinder dann aber nach der Geburt auch mit den anderen Kindern in eine gemeinsame Schule gehen können, war ich dann für andere ein Linker. Die Reaktion der Bundestagsfraktion auf die Nominierung zeigt, dass es noch einen breiten Kern gibt, für den der Lebensschutz eine große Rolle spielt. Sonst würde ich mich in der Partei auch nicht engagieren. Die Frage, ob ich mich für die Menschenwürde einsetze, hat nichts mit „rechts“ oder „links“ zu tun. Wer sich dafür starkmacht, ist einfach nur ein Menschenrechtler.



ALfA e.V.




